BLOG Nr. 1: Vorurteile über Migräne und wie man ihnen begegnen kann
Kennen Sie diese kurze Stille in der Telefonleitung, wenn Sie eine Verabredung abgesagt haben, weil Sie mal wieder eine Migräneattacke haben. Meist ist das nur ein ganz kurzer Moment – kaum wahrnehmbar – aber ich höre in diesem stillen Augenblick die Enttäuschung meines Gegenübers.
„Klar hab ich Verständnis“, „Nee, kein Problem, erhol dich“, viele Freunde hatten und haben Verständnis, aber das „Melde dich, wenn es dir besser geht“ wurde irgendwann doch seltener. Mehr und mehr Freunde haben sich nicht mehr mit mir verabredet, weil sie die Absage förmlich erwarteten.
Dass Migräne nicht einfach ein bisschen Kopfweh ist, sondern ein komplexes gehirnbezogenes Ereignis, ist ja nach außen nicht sichtbar. Da kann es leicht zu Vorurteilen und Missverständnissen kommen. Darüber möchte ich heute etwas schreiben.
Wenn ich eine Attacke habe, kann ich mich nur noch zurückziehen. Freunde, Bekannte oder Kollegen bekommen von den starken Schmerzen und den Beeinträchtigungen deshalb nichts mit. Was mein Umfeld erlebt, ist, dass ich „mal wieder abgesagt habe“ oder „dass ich mal wieder krank bin oder einen Job nicht erledigt habe“. Das verstehen viele Menschen beim ersten Mal, auch noch beim zweiten oder dritten Mal. Aber Migräne kommt ja immer wieder. Ich hatte teilweise mehr Tage mit Migräne in einem Monat als ohne. Da hört bei vielen das Verständnis auf. Kollegen fingen an, hinter meinem Rücken zu tuscheln und Freunde haben sich abgewandt. Plötzlich hatte ich nicht nur mit der Migräne zu kämpfen, sondern auch mit Isolation. Ich fühlte mich richtig einsam und hatte zeitweise sogar mit Mobbing zu tun. Das war ziemlich krass.
„Wirf doch einfach eine Kopfschmerztablette ein.“ Das ist wohl das häufigste Missverständnis, das mir begegnet. Ich sage es deshalb noch mal: Nein, Migräne ist nicht einfach nur Kopfschmerz. Mir geht es bei einer Migräneattacke richtig übel – kotzübel sogar. Ich ertrage dann kein Licht und bin Lärm gegenüber superempfindlich. Dann verstecke ich mich in einem dunklen Raum und kann kaum raus. Außerdem hab ich Sensibilitätsstörungen im Gesicht und in den Armen. Das kribbelt ganz unangenehm.
Viele Menschen glauben, ich verstecke meine Migräne, aber das hat damit nichts zu tun. Ich schäme mich nicht, dass ich Migräne habe. Ich habe mir das nicht ausgesucht und kann nichts dafür. Also lasse ich mir keine Schuld einreden. Zugegeben, diese Einstellung hat ein bisschen gedauert, aber ich will mein Leben genießen, trotz Migräne.
Mein Mann hat meine Attacken von Anfang an miterlebt. Weil er dabei war und mitbekommen hat, wie krass das ist, war Verständnis nie ein Problem bei ihm. Sicher, es war nicht immer einfach. Egal ob Abendverabredung oder Urlaubsplanung, die Migräne ist fast immer dabei – das war für ihn auch schwer, aber wir haben einen guten Weg gefunden und heute schränkt uns meine Erkrankung kaum noch ein.
Was ich durch meinen Mann lernen konnte, war, wenn man versteht, was Migräne ist und was sie mit einem macht, dann versteht man meine Situation besser. Also hab ich irgendwann konsequent über die Migräne gesprochen. Ich habe jedem, der es hören wollte, erklärt, was es bedeutet mit Migräne zu leben. Manchmal hab ich es auch Leuten erzählt, die es nicht hören wollten ;-) Für mich war das wie ein Befreiungsschlag.
Plötzlich haben sich Menschen in meinem Umfeld informiert. Mein Chef zum Beispiel. Er hat selbst viel über Migräne gelesen und wir haben uns dann irgendwann zusammengesetzt und gesprochen. Für ihn war das ja auch nicht einfach, ich hatte zeitweise echt viele Fehltage. Aber wir haben zusammen überlegt, was geht und wie ich meinen Job auch mit Migräne meistern kann.
Seit unsere Tochter geboren ist, arbeite ich nur noch halbtags, aber mittlerweile sind alle in der Bank informiert und wenn ich nicht zur Arbeit kann, weil ich eine Attacke habe, dann ist das kein Thema mehr. Ich mache jetzt vor allem Sachen, die nicht zeitkritisch sind und dann ist es nicht so schlimm, wenn ich mal ausfalle. Ich kann meine Arbeit dann nachholen. Seit ich die Migräne-Prophylaxe mache, ist das mit den Fehltagen sowieso schon viel besser, denn ich habe jetzt weniger Migränetage. Das ist echt eine Erleichterung.
Ein weiteres Vorurteil, das ich auch ganz oft höre ist: Migräne, das ist so ein Frauending. Das ist aber gar nicht wahr. Ja, es stimmt, dass mehr Frauen als Männer unter Migräne leiden, aber auch Männer haben Migräne. Ich hab mal irgendwo gelesen, dass etwa 12 bis 14 % aller Frauen in Deutschland von Migräne betroffen sind, aber eben auch 6 bis 8 % der Männer.
Ganz blöd sind Kommentare wie „Du musst einfach deine Ernährung umstellen“ oder „Bei meiner Freundin hat das und das geholfen.“ Von Bachblüten bis beten ist dann alles vertreten. Sicher, die meisten Anregungen sind gut gemeint, aber ich kenne meine Migräne und ich weiß, was mir hilft und was nicht. Okay, ich habe meine Ernährung umgestellt, aber damit ist die Migräne nicht weg. Ich kann sie positiv über meine Ernährung beeinflussen, aber weg geht sie davon nicht. Wie Migräne entsteht, ist wissenschaftlich wohl noch nicht geklärt, aber es gibt Hinweise, die darauf hindeuten, dass Gene dabei eine Rolle spielen. Wer Migräne hat, muss damit leben. Genau wie mit den seltsamen Tipps, die manche Menschen dann geben. Und mit beidem kann ich mittlerweile recht gut umgehen.
Was ich schwieriger finde, sind die Leute, die sagen: Migräne – das ist doch alles nur psychisch. Das bildest du dir nur ein. Du musst dich einfach mal entspannen... Es gibt viele Kommentare, die Migräne in die Psycho-Ecke stecken. Richtig ist, dass Migräne eine Erkrankung des Gehirns ist, dennoch ist es keine psychische Erkrankung - es ist eine neurologische. Ich will psychische Erkrankungen hier gar nicht kleinreden. Im Grunde ist es doch egal – Menschen, ob gesund oder krank, wollen ernst genommen werden. Ich wünsche mir, dass sich mein Umfeld mit mir auseinandersetzt und mich nicht in die eine oder andere Box steckt. Ich bin nicht viereckig und passe da einfach nicht rein ☺ Also lasst uns miteinander reden ...
Selbstreflexion und Toleranz sind für mich dann Grundvoraussetzungen für eine offene und ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe. Das ist vielleicht nicht immer einfach, es zahlt sich aber fast immer aus.